Rückkehr nach Schlesien

 

Oberschlesien

 

"Gibt es einen Unterschied zwischen Ober - und Niederschlesien? Ist Oberschlesien etwas Eigenes, vom übrigen Schlesien unterschieden?"

 

Erika und ihr Mann Robert, dessen schmaler Kopf immer leicht geneigt ist, um seine dunklen Augen besser nach innen  richten zu können, diese beiden  sagen: "Ja."

 

"Niederschlesien war ein reiches, fruchtbares Land, den Blick immer westwärts gerichtet ins Reich.  Was uns Oberschlesier prägte, ist Sand, sind Birken, Kiefern und Grenzenlosigkeiten. Und all die Jahrhunderte haben unsere polnischen Nachbarn uns gezwungen, ausschließlich ostwärts zu schauen. Manchmal meint man, die   Öde des Ostens reiche schon zu uns hinein.

 

 

 

Oberschlesien, Land unterm Kreuz

 

Was uns  auszeichnet, sind unsere Kohle und unser Erz. Aus den bescheidenen Bergwerken im Osten Oberschlesiens ist  im Laufe der Zeit eine Landschaft der Fördertürme geworden und der Schlote. Das ist unser Stolz. --- Das war unser Stolz," fügt Robert nach einer Pause hinzu.

 

"Wenn Sie Oberschlesien spüren wollen, dann können Sie das am besten, wenn Sie die Worte eines Dichters hören. Wir hatten viele Menschen bei uns, die das sagen konnten, was wir alle empfanden. Hören Sie:

 

Lied der Oberschlesier

 

Du, meine Heimat, bist verachtet,

du wirst geschmäht und viel verkannt.

Man hat als Stiefkind dich betrachtet

im lieben deutschen Vaterland.

Mag sprechen so, wem es gefällt,

uns wird die Heimat nicht vergällt.

Sie gleicht der Perle tief im Meere,

die nur ein Kenner holt herauf.

Ein Kenner nur wahrt deine Ehre,

mein Oberschlesien, dir Glück auf.

 

Wir kennen keine Felsenkanten

in stiller, stolzer Bergespracht.

Wir graben schwarze Diamanten

tief in der Erde ew'ger Nacht.

Wie Pappeln, die am Wege steh'n

kannst du die Essen ragen seh'n.

Es hemmen schwerbelad'ne Wagen

des Dampfroß fluggewohnten Lauf,

in alle Welt die Last zu tragen.

Mein Oberschlesien, dir, Glück auf.

 

Kein Nordseeleuchten, Alpenglüh'n

ist uns bekannt zur Abendzeit,

doch Hüttenfeuer, Funkensprüh'n,

und blutig glänzt der Himmel weit.

Die Halde gleicht - sie flammt und brennt -

dem sternbesähten Firmament.

 In dem Getriebe der Maschinen

hat jedes Rädchen seinen Lauf.

Es dröhnt wie Brandung, wie Lawinen:

Mein Oberschlesien, dir, Glück auf."

 

 

 

Robert hält eine Weile inne.

 

"Spüren Sie Oberschlesien? Wollen Sie noch mehr hören?

 

 

Zwei Sprachen hört man bei uns sprechen,

wie oft, daß jemand radebricht,

doch gelte dies nicht als Verbrechen,

denn doppelzüngig sind wir nicht.

Hier an der fernsten Landesmark,

da wohnt ein Volk, so fromm und stark;

verdächtigt nimmermehr sein Streben:

Es nimmt den Schimpf nicht in den Kauf!

Die treue Arbeit ziert sein Leben,

mein Oberschlesien, dir Glück auf!

 

Das höchste Gut der Heimat Gauen,

dem unser Schutz gilt alle Zeit:

Sind unsre Mädchen, unsre Frauen,

an Tugend reich und Sittsamkeit.

 

Sie stärken uns in Not und Kampf

und fürchten nicht den Kohlendampf;

im dunklen Auge glänzt die Treue,

des Mannes Glück hält ihre Hand!

Begeistert tönt der Ruf aufs neue:

Glück auf, mein Oberschlesierland!"

 

 

 

Wann habe ich eigentlich zum letzen Male ein Gedicht gehört? Eins Gedicht aus  einer   Zeit, die keine Verbindung mehr   mit uns Heutigen zu haben scheint?

 

Robert fährt fort:

 

"Und wo auf weiter Erdenrunde

ein oberschlesisch Herze schlägt:

Es fleht in letzter, banger Stunde,

daß man es in die Heimat trägt.

Vom Kampf ums Dasein ruht es aus

am rauchgeschwärzten Gotteshaus,

vom Heimweh in die Gruft getrieben.

Man pflanzt ein schlichtes Kreuz darauf,

und auf dem Querholz steht geschrieben:

Zur letzten Schicht, o Freund, Glück auf!"

 

 

(Hermann Falk in: Oberschlesien in der Dichtung, Berlin 1926, S.105 f.)

 

 

Wir schweigen. Die Sonne steht schon tief über dem Horizont,  schickt  ihre letzten glühenden Strahlen durch die Büsche und Bäume des Gartens.  Am Zaune summen leise Roberts Bienen.

 

"Das ist eine Sprache, die man heute nicht mehr spricht," sage ich, "jedenfalls nicht mehr bei uns im Westen. 'Not, Kampf, Treue,  Vaterland'. Zur Zeit haben wir solche Wörter aus unserer Sprache gestrichen. Wer sie dennoch benutzt, erntet Spott, leichtgemachten Spott, denn niemand wagt zu widersprechen."

"Bei uns ist das nicht so," sagt Erika, "'Heimat, Arbeit und Treue', das sind die Lebenspfeiler unserer Vorfahren, und wir Oberschlesier haben diese Lebenspfeiler  so tief in uns, daß auch die Mächtigen dieser Welt keinen Zugriff zu ihnen haben."

 

Treue, Heimat, Vaterland, sind solche  Lebenspfeiler vielleicht auch in mir verborgen? Sind  sie es am Ende, die mich nach Schlesien, nach Oberschlesien gebracht haben? Mein Ururgroßvater kommt aus Görlitz. Meine Großmutter kommt aus Kreuzburg.

 

"Wir sind ein Grenzvolk," sagt Robert.

" 'Zwei Sprachen hört man bei uns sprechen,' heißt es im Gedicht.

Während des letzten Jahrhunderts sind Tausende von Polen als Bergarbeiter zu uns gekommen. Viele sind Deutsche geworden wie wir. Viele aber haben ihre  Sprache mit dem Deutschen zum sogenannten Wasserpolnischen vermischt. Von außen gesehen schienen sie deswegen keine richtigen Deutschen zu sein.  Im Herzen aber haben die meisten von diesen das aufgenommen, was wir ihnen vorlebten: Treue zum deutschen Vaterland.

Grenzvolk sein heißt: Wachen, Kämpfen, Leiden.

Wir sind das alles gewohnt. Wir wissen, wie es ist, wenn Unrecht sich mit Macht verbindet und als angemaßtes Recht alles zu zerschlagen droht.

Hören Sie, was ein Ostoberschlesier im Jahre 1921 schrieb, als seine Heimatstadt trotz ihrer Abstimmung für Deutschland zu den Polen gezwungen wurde:

Zunächst über die Abstimmung:

'Es gab einmal Treue, und wir lebten von ihr. Dann kam das Unglück und zerschlug, was in sieben Jahrhunderten zusammengewachsen war. Abstimmen sollte man. Mit blutiger Geißel peitschten sie alles Häßliche, Niedrige, Gemeine aus seinen dumpfen Höhlen und finsteren Schlupfwinkeln heraus gegen das zerrissene Volk, vom Hunger zermürbt. Tausend Leidenschaften züngelten empor.....'

 

Nach der Übergabe der Stadt an Polen heißt es:

 

'Die neuen Herren feiern ihren Nationaltag. Wo Begeisterung fehlt, muß äußere Aufmachung sie vorlügen. Wie immer ein großes Fest. Die Weinenden (das sind die Deutschen) sollen mitlachen, mitfeiern, Geld spenden, trotz ihres eigenen Unglücks triumphieren. Vor Weh krampfen sich die Herzen zusammen, Augen brennen, heiße Lippen zucken.

Aus der alten deutschen Bergstadt, die trotz tausenderlei Bedrängnis ihr Volkstum wahrte, soll dieses deutsche Volkstum  nun mit Gewalt vertrieben werden, ohne Verzug. Was Jahrhunderte in Stein hieben, wollen Tröpfe in Stunden mit dem Lappen ihrer Unfähigkeit fortwischen. In den Nächten, von einem Diener ihrer Kirche geführt, reißen sie deutsche Schilder ab, besudeln Fenster und Mauern, schlagen die Eichbäume um, zu Ehren alter Volkshelden gepflanzt. Eine Schar bezahlter Buben zieht von Haus zu Haus, mit Gewalt drohend, falls nicht bis zum Fest alle deutschen Inschriften entfernt seien...'"

"Wie wir das alles kennen," sagt Robert mehr zu sich selbst, "auch damals schon.

"Schließlich wurde in dieser Stadt noch das Denkmal unseres Kaisers fortgeräumt. Die Deutschen selbst mußten es tun. Zum Schluß, als alles vorbei war, heißt es dann:

'Nacht wird's.- Steht da nicht wieder das Denkmal? Verschleiert - noch in Dämmerung? Aber aus dem dunklen Granit leuchtet im Mondlicht das Gold der unzerstörbaren Inschriften wie fernes deutsches Morgenrot.'"

 

( Robert Kurpium, Das Schaffot, aus Oberschlesiens schwerster Zeit, in: s. o. S. 258 ff.)

"Das, liebe Marianne war Oberschlesien. Und das ist Oberschlesien, noch immer."

 

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