Rückkehr nach Schlesien

 

G r a u e n

 

Es ist  das Grauen, welches unser Schlesien verwandelt hat in das Schlesien, wie es sich heute zeigt.

 

Ich sitze allein in meinem Zugabteil und fahre das erste Mal durch Schlesien.

Ist es gut, daß dieses Grauen mich nun anfaßt? Daß ich das sich nähernde Toben des Krieges höre, daß ich die Kälte spüre, die Schlesien versteinern ließ im Januar vor 48 Jahren? Daß  die Angst der damaligen Menschen durch mich hindurchgeht, als sei es meine eigene, die Angst der Menschen, denen keine andere Wahl blieb als aus ihren Wohnungen, ihren schützenden Dörfern und ihren Städten hinauszufliehen in den hartgefrorenen Schnee?

 

Ich sehe den Blick der alten Bauern, mit dem sie ihre Höfe, ihr Land ein letztes Mal umfaßten, ehe sie fort zogen, um nie mehr zurückzukommen.

Ich fühle die Verzweiflung der jungen Frauen, mit welcher sie die Pferde vor den schwer beladenen Fluchtwagen anzutreiben versuchten. Ich spüre die Erschöpfung der Tiere, für die es kaum noch Futter gab.

Von Müttern habe ich gehört, die während der Flucht ihre kleinen erfrorenen Kinder vor die Altäre von Dorfkirchen legen mußten, weil es unmöglich war, Tote in der zu Stein gewordenen Erde zu begraben.

Und Frauen sehe ich dann, Wehrlose, über die der Feind gekommen war. Tausende von Frauen.

Halbwüchsige schauen mich an mit fahlen Gesichtern, die, um nie mehr zurückzukehren, von den Russen fortgeschleppt wurden wie Sklaven, wie Vieh.

Aus den zahllosen Lagern, welche die den Russen folgenden Polen  dann für die Deutschen in Schlesien eingerichtet haben, höre ich in Todesangst Menschen schreien, Menschen, auf welche  die Lagerwärter so lange einschlugen, bis die Schreie leiser wurden, bis sie für immer verstummten.

 

Von all diesem habe ich bisher nur gewußt, habe es aber nie wirklich in meine Gedanken hineingelassen. Jetzt, da ich zum ersten Male durch Schlesien fahre, ist es mir, als ob ich all dieses Grauen, dieses in seiner Grausamkeit eigentlich nicht Vorstellbare in mich aufnehmen muß, weil es zu Schlesien gehört, weil es der Grund ist, auf dem das heutige Schlesien  steht.

 

zurück zu Inhalt

weiter