Rückkehr nach Schlesien

 

B r e s l a u

 

Einen Tag lang habe  ich in Breslau verbracht, welches nun Wroclaw heißt. Die Erstarrung, die über Schlesien liegt, ist in Breslau - Wroclaw in  eine wirre Bewegung geraten, in die Bewegung eines Strudels, welcher denen, die sich darin befinden, Hören und Sehen so verwischt, daß die Widersinnigkeit des Gehörten, des Gesehenen nicht mehr wahrgenommen werden kann.

In den Bahnhofshallen, in den Straßen, am Oderufer, überall schieben, hasten, drängeln sich Menschen an mir vorbei, Schwärme von Menschen, die eine  fremde Sprache sprechen, Menschen, denen man ansieht, daß die Not sie umtreibt oder irgendein düsteres Verlangen. Es sind Menschen, die sich die Zeit nicht nehmen können, darüber nachzusinnen, warum sie hineingestoßen worden sind in eine ihnen fremde, in eine deutsche Stadt.

 

Wollte ich all die Bilder von Breslau - Wroclaw niederschreiben, die heute an mir vorübergezogen sind und von denen mir der Kopf noch so voll ist, es gäbe ein eigenes Buch.

Ich belasse es bei diesen:

 

Jahrhunderthalle

 

Sie stammt aus der Zeit, als den Deutschen noch kein Krieg verloren gegangen war, als es den Deutschen  noch ganz normal erschien, den Stolz auf ihr Vorhandensein durch Staunen erregende Bauwerke auszudrücken.

 

 

 

Einweihung der Jahrhunderthalle 1913

 

 

Erbaut im Jahre 1913, genau 100 Jahre also nach der tatsächlich staunenswerten Befreiung der Deutschen von der französischen Bedrückung, war die Breslauer Jahrhunderthalle mit einer Kuppel von 65 m Durchmesser damals die größte Veranstaltungshalle der Welt.

Die Breslauer Jahrhunderthalle hat den letzten Krieg einigermaßen heil überstanden. So, wie ihre Erbauer sie gemeint haben, steht sie noch immer  da. Man sieht es ihr nicht an, daß sie einen neuen Namen bekommen hat: "Hala Ludowa", das heißt" Volkshalle", Halle für ein Volk, das gegen ein anderes  ausgewechselt worden ist. Das von den Polen gebaute, ca. 100 m hohe, nadelförmige Denkmal auf dem Vorplatz der Halle stört den Gesamteindruck nur geringfügig, da es allein den derzeitigen Bewohnern der Stadt  bekannt ist, woran beim Anblick dieses Denkmals erinnert werden soll: an Wroclaw als einen wieder gewonnenen polnischen Besitz mit Einschluß der Breslauer Jahrhunderthalle!

 

Im Inneren der Halle ist es Nacht. Dem Eingang gegenüber ist eine überdimensionierte Kinoleinwand aufgestellt worden, auf welcher   wild einherjagende, sich zuzeiten überschlagende Personenwagen mit grell schreienden, meist  grausam verstümmelten Menschenantlitzen wechseln. Daseinsgestaltung aus den USA!  Das derzeit weltweit gepflogene monotone  Kreischen, welches sich auch in Grünberg schon eine grelle Bahn geschlagen hat, versetzt die schwarze Undurchdringlichkeit der Breslauer Jahrhunderthalle in ein gefahrenschwangeres Vibrieren.

 

Irgendwann löst sich aus dieser Schwärze eine wankende Gestalt und strebt dem Ausgang zu. Eine zweite folgt. Als die beiden an mir vorbei ziehen, hinterlassen sie  den scharfen Dunst hinuntergespülter Verdrießlichkeit.

 

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