Prof. Dr. Gerard Radnitzky 

 

 

 Die Sudetendeutschen  

          

 

Wie sieht die Erinnerungskultur der BRD alias "DDR-Light" (G. Zehm) aus? Ähnlich wie anders wo, bloß noch schlimmer. A. de Zayas, der bekannteste unter den Historikern der Vertreibungen, bemerkt in seiner Festrede "Zeitgeist und wissenschaftliche Redlichkeit" in Ingolstadt am 24. 11. 01: "In der Zeitgeschichtsforschung (ist) das Thema Vertreibung immer ein 'Stiefkind der Zunft' gewesen." Im Medien Dialog 02/l, S. 21-26 gibt er eine Übersicht über die wichtigen Ausnahmen. In Medien Dialog 02/l, S. 21-26 gibt er eine Übersicht über die wichtigen Ausnahmen. Politisch korrekte (pc) TV-Historiker führen vor, wie man lügen kann, ohne falsche Sätze bemühen zu müssen, einfach durch gezielte Auslassungen. Den Anstalten ist zu empfehlen, für diese Leute viele Professorentitel bereit zu halten. Den Historikern, die nicht pc sind, ist zu empfehlen, den Unterschied zwischen "freedom of speech" und "freedom after speech" zu beachten und auch zu bedenken, daß die Medienmeute in Bezug auf Rufmord hohe Effektivität bewiesen hat. Manche kennzeichnen die BRD bereits heute als einen "antifaschistischen Ideologiestaat" (H. Seubert in Medien Dialog 02/l, S. 15.)

 

Für pc Gutmenschen beginnt die deutsche Geschichte 1933 und, was die Sudetendeutschen betrifft, erst 1938. Die Frankfurter Schule rügte die Deutschen wegen ihrer angeblichen "Unfähigkeit zu trauern". Trauerarbeit war also pc, allerdings nur für den jüdischen Holocaust. In der veröffentlichten Meinung konnte sie manchmal sogar obsessionelle Formen annehmen. Gleichzeitig wurde in der veröffentlichten Meinung nicht nur die Trauer, sondern sogar die Thematisierung der Leiden anderer Opfer verdrängt, fast tabuisiert (Vor- und Anwürfe waren: "Relativierung", "Historisierung", "Revisionismus" etc). Unter den Teppich gekehrt wurden nicht nur die etwa 600.000 Opfer des Bombenterrors (pc deutsche Zeitungen setzen das Wort zwischen Zitatzeichen, aber Churchill selbst nannte es "terror bombing", z. B. in seinem Memo. an den Bombercommander Harris vom13. 3. 45), sondern auch die Opfer nach Kriegsende—die Leiden der mehr als 15 Millionen Vertriebenen, von denen über 2 Mio. ermordet wurden, die jahrelange Sklavenarbeit anderer usf. Am 8. Mai1985, dem 40. Jahrestag des Waffenstillstands (mit der UdSSR)—einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht—, erfuhren die Deutschen aus berufenem Munde des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, warum, zu  trauern unsinnig wäre: der 8. Mai 45 war der Tag der Befreiung tout court! Das widersprach zwar den expliziten Deklarationen der Sieger, aber es wurde zur Losung. Den Umerziehern gelang es, eine geschichtslose Generation nach der anderen heranzuziehen. Ob sich der Bann jetzt langsam lösen wird, bleibt abzuwarten. Da ich in diesem Essay aus Platzgründen nicht alle begangenen Tabu-Brüche anzeigen kann, bitte ich den Leser, die entsprechenden Ergänzungen selbst vorzunehmen.

 

Die deutsche Regierung belegte die Erwähnung der Verbrechen an Deutschen mit einem Tabu.

Das Bundesarchiv in Koblenz hatte 1969 den Auftrag erhalten, die Unterlagen zu den bei der Vertreibung verübten Verbrechen auszuwerten. Den 1974 der Bundesregierung vorgelegten Bericht belegte die SPD/FDP-Koalition mit Verschluß. Wäre es nach Willy Brandt gegangen, hätte die Öffentlichkeit nie etwas erfahren. Der Bundesinnenminister, der Jurist Maihofer (FDP), erklärte: "... ganz sicher ist insgesamt diese Sache keine Frage historischer Wahrheit, sondern politischer Vernunft." Durch einen inquisitiven Journalisten flog die Sache dann doch auf. Eine ausführliche Dokumentation insbesondere über das wahrheitsverachtende Verhalten der FDP-Spitzenpolitiker Maihofer und, wenn möglich noch schlimmer, Baum gibt W. Ahrens, Hg., 3. Aufl. 1999. Verbrechen an Deutschen—Dokumente der Vertreibung. Das Buch enthält auch eine bis heute nicht veröffentlichte Dokumentation; eine Kurzübersicht in Medien Dialog 1999(7): 18-23 und 21-23.

 

Die historischen Eckdaten

 

Zur Vorgeschichte

Um 1898 teilten die tschechischen Atlanten die Gebiete ein in "Sudetendeutsche" und "Alpendeutsche". Später wurde der Ausdruck für die deutschsprachigen Bewohner verwandt. In Böhmen und Mähren, den Kronländern  der Casa d'Austria, hatten Deutsche und Tschechen seit mindestens acht Jahrhunderten nebeneinander und auch mit einander gelebt. Die Deutschen waren die originäre Bevölkerung der Randgebiete seit 800 n. Chr., die Tschechen sammelten sich im Inneren. Die Habsburger überlegten, ob sie Prag anstelle von Wien zu ihrer Hauptstadt machen sollten. Zwiespalt säten dann die Religionen—Hussitenkriege und Gegenreformation. Das Zusammenleben der Völker wurde beeinträchtigt  durch den Nationalismus, Chauvinismus im Gefolge der Französischen Revolution, der latente Nationalismen wachrief. Es wurde verunmöglicht  durch die Struktur der Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie (die Ungarn weigerten sich, die Tschechen als vollwertige Partner zu akzeptieren), hinzu kam später der Panslavismus.

 

Um die jüngste Geschichte zu verstehen, muß man mindestens zum "Dreißigjährigen Krieg von 1914 bis 1945" (Originalton des britischen Premiers John Major zum 50. Gedenktag der Kapitulation—allerdings nicht pc) zurückgehen. Amerika entschied beide manifesten Phasen des Krieges. Wilson wollte den Kriegseintritt den nichtinterventionistisch gestimmten Amerikanern dadurch schmackhaft machen, daß er das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" als eines der Ziele proklamierte. Wenn es anerkannt worden wäre, dann wären Nordböhmen und Mährisch-Schlesien zu Deutschland gekommen und Südböhmen und Südmähren zur Republik Österreich. Als es sich im Diktat von Versailles herausstellte, daß das Selbstbestimmungsrecht für Deutsche nicht galt, zog sich Wilson zurück. Er hatte das Diktat zwar unterzeichnet, aber Kongreß und Senat verweigerten ihre Unterschrift. Amerika schloß dann 1921 mit Deutschland einen Separatfrieden. Wer glaubt, daß Versailles / Trianon ein Vertrag war (was pc ist), dem empfehle ich das Buch des französischen Diplomaten Alcide Ebray 1996 (1925). Der Unsaubere Frieden. Versailles—der zweite Akt des Vernichtungskriegs gegen Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert. Versailles war die antidemokratische Forderung gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Amerikas "Erster Kreuzzug" hatte katastrophale Folgen: Wilson, Versailles, Hitler. Wenn Hitler Humor gehabt hätte, hätte er Wilson-Monumente errichten lassen. Der spätere Bundespräsident Theodor Heuss schrieb schon 1932: "Die Geburtsstätte der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht München, sondern Versailles." (zitiert nach Stüwe 1995, Peenemünde-West. Die Erprobungsstelle der Luftwaffe für geheime Fernlenkwaffen und deren Entwicklungsgeschichte. München, S. 805). Franzosen und Engländer waren sich dessen bewußt, daß Versailles keinen Frieden bringen sollte. So nannte Charles de Gaulle in London 1944 die Abfolge der Ereignisse "la guerre de trente ans de nôtre siècle" (zitiert nach Michael Stürmer in NZZ 10. 5. 96, p. 33).

 

Wie kam die CSR zustande?

Nach Ende der ersten manifesten Phase des "Dreißigjährigen Krieges" 1918 bereiteten die französischen Politiker die zweite manifeste Phase vor. Schlaglichtartig beleuchtet das ein Zitat des ehemaligen französische Ministerpräsident Clemanceau in einer Ansprache vor Kadetten der Offiziersschule von St. Cyr: "Meine jungen Freunde, seien Sie ohne Sorge über ihre militärische Zukunft! Der Friede, den wir soeben gemacht haben (Versailles 1919), sichert Ihnen zehn Jahre der Konflikte in Mitteleuropa!" (Stüwe , op. cit., S. 806). Clemanceau hat die Zeitperiode unterschätzt, einer der damals gelegten Brandherde, Jugoslawien, schwelt noch heute. Eines der Mittel zur Konfliktsicherung war, Deutschland mit feindlichen Staaten zu umgeben, die deutsche Minoritäten enthielten (für die, wie gesagt, das Selbstbestimmungsrecht nicht galt)—die CSR und Polen gegen Deutschland, Jugoslavien gegen Österreich—es waren politische Provisorien.

 

Am 20.9.1918 ersuchte Prag die USA um Zustimmung zur Einverleibung des Sudetenlandes. Wilson schickte einen Sonderbotschafter, Archibald Coolidge, in die neugegründete "Tschechoslowakische Republik". Er sollte Vorschläge zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrecht der "Sudeten Germans" unterbreiten. Nachdem er am 4.3.1919 Zeuge des Vorgehens tschechischer Miliz gegen friedliche deutsche Demonstranten (54 Tote, darunter Frauen und Kinder) geworden war, empfahl er in seinem Bericht die Eingliederung der rein deutschsprachigen Gebiete an Deutschland beziehungsweise an Österreich. Masaryk und Benes gelang es, den amerikanischen Plan zu unterlaufen, indem sie die Franzosen überzeugten, daß die Gründung von französischen Satellitenstaaten für sie die beste Option sei—was deren Plänen genau entsprach. Die Franzosen haben die CSR von Anfang an als eine Waffe gegen Deutschland betrachtet und diese Einstellung konsequent beibehalten. So erklärte der radikalsozialistischer Minister der Volksfrontregierung Blum, Pierre Cot (Luftfahrt), 1936: "La Tchécoslovaquie est comme un porte-avion braqué au cœur de l'Allemagne." (die Tschechoslovakei ist wie ein Flugzeugträger beim Herzen Deutschlands).

 

Die CSR war ein multinationaler Artefakt, die Donaumonarchie en miniature. Das staatstragende Volk, die Tschechen, waren selbst eine Minorität im neuen Vielvölkerstaat. Die CSR war eine Erfindung Masaryks, die genau den französischen Wünschen entsprach. Seine Figur gehört zum Gründungmythos der CSR. Tschechisch lernte Masaryk erst an der Wiener Universität, nachdem er —als Sohn einer mittellosen Dienstmagd eines jüdischen Fabrikanten und eines leibeigenen Kutschers—in Wien ein Elitegymnasium besuchen durfte, danach unbezahlter Privatdozent gewesen und Universitätsprofessor geworden war.

 

Nach ihrer Verfassung von 1920 verstand sich die CSR als Staat der "tschechoslowakischen Nation", eines Volkes, das es nie vorher in der Geschichte gab und auch später nicht gab. Es gab nur Tschechen, Deutsche (3.5 Millionen), Slowaken, Ungarn, Karpatorussen usf. Die Ausstoßung der deutschen Bevölkerung war bereits 1918 geplant, 1938 von Benes gefordert, und von der Londoner Exilregierung mit den Alliierten vereinbart. Als Alternative war 1919 eine zweite Option im Gespräch: "... bevor Deutschland sich seiner besinnt, (wird) das ganz böhmische Gebiet ohne jede Gewalt tschechisiert sein … Wenn dieser Prozeß nicht schnell genug vonstatten geht, schreiten wir zur Aussiedlung des deutschen Elements, …" (Josef L. Stehule, "Ceskoslovensky stat v mezinarodnim pravu a styku.", Praha 1919, abgedruckt in "Odsun", München 2000). Benes ist Vorläufer und Vorbild von Milosevicz

 

Benes war auch der Präsident der Národní Socialistiska Ceska Strana, der Nationalsozialistischen Tschechischen Partei war. Ihr Programm wurde von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei übernommen (Küehnelt-Leddin, E. v. 1985. Die  falsch gestellten Weichen. Der Rote Faden 1789-l984. Wien: Böhlaus Nachf. S. 223-225). Das wird heute totgeschwiegen. Für Milosevics war einige Jahrzehnte später die "ethnische Säuberung" nicht mehr so einfach wie für sein Vorbild Benes: die Welt hatte sich geändert. Milosevics tat sein Bestes und wird jetzt offiziell angeklagt; Benes' Name ziert Brücken und Plätze der Tschechischen Republik.

 

Wie kam das Territorium der CSR zustande? 

Am 2.9.1918 anerkannten die Siegermächte den selbsternannten tschechoslowakischen Nationalrat als De-facto-Regierung. Am 28.10.1918 verkündete der Nationalrat den Bruch mit Habsburg, und am 22.11.1918 erließ die Republik Deutsch-Österreich ein Gesetz, das die geschlossenen Siedlungsgebiete der Deutschösterreicher (Deutschsüdmähren, Deutschsüdböhmen usf.) als zum Staatgebiet gehörig erklärte. Aber am 3.12.1918 besetzen  die Truppen des Nationalrats diese Gebiete. Der Nationalrat verfügte über die tschechischen “Legionäre”, nämlich desertierte Truppen der österreichischen Armee, die sich in Rußland 1917 verselbständigt hatten. Die österreichische Republik war militärisch machtlos. (Das Buch des bekannten Völkerrechtlers Felix Ermacora Der unbewältigte Friede. St. Germain und die Folgen. Wien-München 1989, gibt eine präzise Darstellung.) Am 10. 9. 1919 wurde im Diktat von Trianon die Agression und Okkupation der Randgebiete als fait accompli anerkannt und nachträglich legalisiert. Dadurch wurden die Franzosen und Briten zu Komplizen eines völkerrechtswidrigen Verbrechens.

 

Die CSR war nun ein international anerkannter Nationalstaat. De facto war sie, wie gesagt, ein Nationalitätenstaat wie die Habsburg Monarchie, nur weniger groß und weniger tolerant. Sie bot zwar wirtschaftlichen Freiheiten, aber sie unterdrückte ihre Minderheiten: Deutsche, Ungarn, Slowaken usf., die zusammen die Majorität bildeten. Praktisch alle Juden waren deutschsprachig. Oft hochwertiges Humankapital, man denke an Namen wie Freud und Husserl, Rilke, Kafka. Die Juden fühlten sich als Deutsche. Ihre Verfolgung seitens der Nationalsozialisten war ein Akt der Selbstverstümmelung des Deutschtums.

 

Das erzwungene Zusammenleben

Der spätere Vorwurf der Tschechen, die Sudetendeutschen hätten sich zu der neuen Republik nicht loyal verhalten ist weder treffend noch triftig, und für die Anfangszeit der Republik trifft er nicht einmal zu. Der Grund zu dieser Art von Loyalität war rein pragmatisch: man sollte sich in sein Schicksal fügen, versuchen im Alltag das beste daraus zu machen. Andere rationale Gründe gab es nicht, denn erstens hatte man sie in einen neuen Staat hineingezwungen und ihnen kollektiv eine neue Staatsbürgerschaft verpaßt, und zweitens wurde das Versprechen einen Nationalitätenstaat zu schaffen, grob gebrochen. Dennoch verhielten sie sich die Sudetendeutschen  anfangs loyal. Die Tschechisierung wurde jedoch immer militanter: Veränderung der Nationalitätenverhältnisse in den Randgebieten durch Plazieren von Militär, tschechischer Verwaltung, tschechischen Schulpersonal usf. Deutsche Schulen mußten oft privat finanziert werden, während eine tschechische Schule bereits errichtet wurde, sobald sich in einem Dorf mindestens sieben tschechische Schüler vorhanden waren. Es gab viele analoge Maßnahmen. Als im Sommer 1938 Chamberlain Lord Runciman beauftragte, die Verhältnisse zu untersuchen, diagnostizierte dieser in seinem Bericht eine massive Unterdrückung der deutschsprachigen Bevölkerung und empfahl deshalb, die deutschsprachigen Randgebiete von der CSR abzutrennen und den betreffenden Nachbarländern zuzuteilen.

 

 1936 hat die CSR aufgehört, ein demokratischer Verfassungsstaat zu sein. Am 31. Mai 1936 kam das "Staatsverteidigungsgesetz", das die verfassungsgemäßen Rechte der Deutschen und Ungarn außer Kraft setzte; polizeiliche Übergriffe, willkürliche Verhaftungen und Zensur waren an der Tagesordnung. Im Herbst 1938 wurden alle Rundfunkgeräte, Motorfahrzeuge und Fahrräder der sudetendeutschen Bürger beschlagnahmt. Ein oft zitiertes Diktum Benes's von 1937 wirft ein Schlaglicht auf seine Gesinnung: "Lieber Hitler in Wien als die Habsburger." Nicht umsonst war Benes auch der Präsident der Národní Socialisticka Ceska Strana", der Nationalsozialistischen Tschechischen Partei, deren Parteiprogramm Hitler in seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei einfach übernommen hatte.

 

Das München-Abkommen: Korrektur des Versailles-Diktats. Die Beteiligung der CSR.

Vorverhandlungen hatten 1938 zum Resultat geführt, daß London und Paris—insbesondere Chamberlain (nach Eingang des Reports von Lord Runciman)—ein Plebiszit in den deutsch besiedelten Gebieten befürworteten. Die Benes -Regierung war indirekt am Abkommen beteiligt. Mitte September sandte Minister Jaromír Necas nach Paris mit der Instruktion, um jeden Preis ein Plebiszit in den betroffenen Regionen zu vermeiden und ihre Abtretung “Hitler sozusagen aufzuzwingen”. Völkerrechtlich ist der Vorgang zwar irrelevant, weil nicht Gegenstand der offiziellen Verträge, aber historisch ist er wichtig und wohldokumentiert (im Original bei den “Papiers Daladier”, Nationalbibliothek in Paris, im Faksimile bei Pachta und Reimann, 1957). Benes Rationale dürften zwei Überlegungen gewesen sein. Da der Ausgang eines Plebiszit praktisch sicher war, wollte er die Peinlichkeit vermeiden, daß etwa 3.5 Millionen seines Staates (indem die 6 Mio. Tschechen eigentlich eine Minorität waren), die CSR ablehnten, und dann wollte er die Gelegenheit benutzen, nach außen als "Opfer" eines Gewaltaktes dazustehen. Daß die CSR insofern an den Abkommen, das zum Vertrag von München führte, beteiligt war, ist bereits durch das Präambel des Münchener Abkommens dokumentiert. Am 19. Sept. 1938 erklärten London (Chamberlain) und Paris (Daladier), daß Sie Übertragung der deutsch besiedelten Gebiete an Deutschland befürworteten", d.h., daß sie Benes's Vorschlag angenommen hatten. Am 21. September 1938 war das Abkommen—der Vorvertrag, der die Zustimmung aller Parteien hatte—perfekt. Auf diesen Vorvertrag bezieht sich die Präambel des München Vertrages, wenn es dort heißt, die vertragsschließenden Teile "sind unter Berücksichtigung des Abkommens, das hinsichtlich der Abtretung des sudetendeutschen Gebietes bereits grundsätzlich erzielt wurde", bereit den endgültigen Vertrag zu paraphieren, wobei nur noch Zeitpunkt und Modus der Abtretung festzulegen sei. Zu diesen sagt Punkt 2 des Münchener Vertrages wörtlich: "Das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien vereinbaren, daß die Räumung des Gebiets bis zum 10. Oktober vollzogen wird..." Daß auch die Siegermächte München als Korrektur einer früheren Fehlentscheidung sahen, kann man aus einem Kommentar der Londoner Times vom 30. Oktober 1938, entnehmen: der Münchener Vertrag brächte die "Gewährung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschböhmen, zwanzig Jahre später, aber hoffentlich nicht zu spät." Wäre Hitler nicht in die Falle getappt, hätte er auf Chamberlains Forderung bestanden, dann hätte er die Segnungen der Göttin Demokratie gehabt und “München” wäre auch in der offiziellen Geschichte eingegangen als Korrektur einer der Fehlentscheidungen von St. Germain. Ob das die Willkür der Sieger des WK II beeindruckt hätte, darf bezweifelt werden.

 

Die historische Beteilung der CSR am Vorvertrag ist bis heute ein wohlbehütetes Geheimnis. Das ist verständlich, denn, wenn es allgemein bekannt würde, verlöre sogar die Beschwörung von “München” als Symbol für das “Appeasement” ihre Pointe. Deshalb ist es nicht pc, die Fakten überhaupt zu erwähnen.

 

Im Herbst 1938 war die Drangsalierung und Schikanierung der deutschen Bevölkerung massiv geworden. Eine Vorstellung davon vermittelt am besten ein Beispiel. In der Kreisstadt Znaim in Südmähren wurden die Schulen geschlossen und Kraftfahrzeuge, Fahrräder und Radios der Deutschen von den Behörden eingezogen. Nach dem Abkommen verkündeten Lautsprecher, daß den Einwohnern die Option angeboten werde, entweder zu bleiben mit folgender Kollektivnaturalisierung, oder für die Zweite CRS zu optieren und die abgetretene Region zu verlassen. Die Juden, die nicht schon vorher ausgewandert waren, machten wohl fast alle von der zweiten Option Gebrauch.

 

Die im Herbst 1938 vollzogene Besetzung der Randgebiete durch deutsche Truppen.

Der Rückzug der Tschechen erfolgte, mit sehr wenigen Ausnahmen, in voller Ordnung gemäß dem Abkommen zwischen dem Dt. Reich und der CSR. Das Personal, das zwecks Tschechisierung in den Randgebieten angesiedelt worden war, flutete—da funktionslos geworden—mit seiner mobilen Habe ins Innere des Landes zurück. Wen wundert's, daß der Einmarsch der deutschen Truppen von der verbliebenen Bevölkerung gefeiert wurde? Erstens war sie die o. g. Schikanen los und außerdem hatten sie eine Fiktion vom Dritten Reich, was auch nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie wenige Informationsmöglichkeiten den Menschen damals zur Verfügung standen. Es gab in der Normalfamilie bestenfalls ein lokales Wochenblatt. Die heutige Journaille ist unfähig, sich diese Situation auch nur vorzustellen.

 

Erst allmählich kam, zuerst für die Politiker der Henlein Partei, die große Enttäuschung. De facto wurden sie während der sechs Jahre des Bestehens des Protektorats Böhmen und Mähren in den Randgebieten (das war ihr einziges Interesse) wie eine Art Kolonialvolk behandelt. Die wichtigsten Posten bekamen—rationalerweise—erprobte Leute aus dem “Altreich”. Die Bevölkerung erlebte die Wandlung der, vor dem Benes -Regime in manchen Bereichen liberalen CSR, zu einem überregulierten, parternalistischen Systems. Der Volkshumor kommentierte: sie wollten heim ins Reich, jetzt reicht's ihnen.

 

Die Vertreibung—apokalyptisch-surrealistisch

 

Die Vorbereitungen der Vertreibung. Sie war seit 1919 beabsichtigt, aber zunächst undurchführbar. Ab dem Sommer  1939 konnte Benes für seinen Herzenswunsch einen Teil der englischen Führung gewinnen. Sir Robert Vansittart plädierte bereits im Januar 1940 für die Umsiedlung der Sudetendeutschen ins “Altreich”. 1943 erlaubte es die historische Situation Benes, die Realisierung des "ethnic cleansing" vorzubereiten (wobei nur Churchill zuerst Widerspruch einlegte). Gegen den Wunsch Churchills, der den Verrat an den Polen voraussah, reiste Benes nach Moskau, versprach Molotow die Zustimmung des tschechischen Staaten zu Stalins Herrschaft über Polen und Ungarn und erhielt dafür von Stalin dessen Zustimmung zur Vertreibung—allerdings nicht in schriftlicher Form.

 

Im Sommer 1945 konnte Benes die Vertreibung rasch durchführen: etwa 3.5 Millionen deutschsprachige ehemalige Bürger der Wenzelskrone wurden entrechtet, enteignet und ausgewiesen. Dabei wurden nach offizieller Statistik über 272.000 Personen ermordet. Juden, die 1938 ins Ausland geflüchtet waren, und Überlebende aus deutschen KZs – wenn als deutschsprachig eingestuft – wurden ebenso enteignet und ausgewiesen wie die anderen. Auch schweizerische, liechtensteinsche und schwedische Staatsbürger wurden enteignet. Das beweist, daß es (pace Helmut Kohl) nicht um Rache für nationalsozialistische Unterdrückung ging.  Der “Sudentendeutsche Holocaust” ging schnell über die Bühne der Geschichte und auch dieser Vorgang wurde mit Tabu belegt. Benes befand sich gegenüber Milosevicz in einer beneidenswerten Lage: kein Fernsehen, keine Journalisten, Chaos in der Umgebung und Deutschenhaß en vogue.

 

Der jetzige tschechische Premierminister Zeman, der Meister des Fauxpas, log, als er behauptete, die deutschsprachigen "Antifaschisten" wären nicht vertrieben worden. Sogar deutschsprachige Juden, die überlebt hatten, wurden vertrieben. Den einzigen Vorteil den einige wenige von Ihnen hatten, war, daß sie Möbel mitnehmen durften, während ihre Immobilien konfisziert wurden. Ausschlaggebend war, daß sie  deutschsprachig waren; daß sie Juden waren, interessierte die Deutschenhasser nicht. Der Bundeskanzler Schröder ist prompt auf Zemans Lüge hereingefallen.

 

Die Behauptung die Vertreibung hätte die Zustimmung des Potsdamer Protokolls gehabt oder wäre gar auf dessen Anordnung erfolgt, ist eine der vielen pc Geschichtslügen. Die einzige Erwähnung der Vertreibung geschieht im Art. XIII: "humane Durchführung". Stalin hatte nämlich eine sich anbahnende Debatte über die Vertreibung abgeschnitten mit dem Hinweis: "… die Sache läuft bereits und kann nicht gestoppt werden." Dejà vue. So wie, oben erwähnt, 1919 in Trianon die völkerrechtswidrige Besetzung der deutschen Randgebiete als fait accompli legalisiert wurde, erhielt 1945 in Potsdam die Vertreibung zwar weder Legalisierung noch Zustimmung aber immerhin Hinnahme. Dadurch machten sich die Alliierten zu Komplizen eines völkerrechtswidrigen Verbrechens, eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit—insbesondere durch ihr Nichteingreifen bei der Ermordung von rund 270.000 der Vertriebenen.

 

Die Vertreibung nahm meistens die Formen eines Horrorfilmes an. Ein Gefühl für das unvorstellbare Szenario zu vermitteln ist nicht leicht. Ein Beispiel kann den Eindruck lebendiger vermitteln als alle Statistik. Peter Lang, damals Assistenzarzt für Chirurgie an der Prager Universitätsklinik, später Chefartz des Roten-Kreuz-Krankenhauses in München, beschreibt das Szenario in seinem Buch Viel Glück auf dem Weg nach München. Landsberger Verlagsanstalt 1983. Er hatte Glück im Unglück. Ein dankbarer Patient, der Partisanenhäuptling geworden war, ermöglichte es ihm, die CSR zu verlassen. Er schildert die Situation in der Universitätsklinik am 7. Mai 45: "Wir hatten nun pausenlos zu tun, die Verletzten wurden auf Lastwagen angefahren und vor den Operationssälen am Boden hingelegt..." (p. 102). In der Nacht zum 9. Mai wurden wir (die Chirurgen) auf die Polizeidirektion transferiert. Da irgendwelche Soldaten plünderten, verloren fast alle ihre Anzüge und bekamen Säcke, die sie um die Hüften wickeln konnten. ... der tschechische Pöbel randalierte hemmungslos und quälte sadistisch junge und alte Deutsche." (p. 105). Die meisten wurden ermordet und die überlebenden Ärzte wurden als Zwangsarbeiter (als Ärzte) einige Jahre behalten. Niemand hat je über deren Kompensation gesprochen. Sie waren ja—was sie allerdings erst 1985 vom höchsten Repräsentanten der BRD erfahren durften—befreit worden, (die genannten Säcke möglicherweise als Befreiung von der Last der zu warmen Unterhosen), die Ermordeten wurden von ihren Leben befreit, das ihnen zur Qual geworden war, worauf aus den zahlreichen Suiziden geschlossen werden darf.

 

DURCH Massenmedien induzierte massenmorde

 

Der Sudetendeutsche Holocaust fand an wenigen Tagen von 1945 statt. Sein Furor ist wohl nur mit dem der Französischen Revolution im anné de la terreur vergleichbar. Die Hauptursache für den Furor war die Haßpropaganda Ilya Ehrenburgs. Seine Indoktrierungsarbeit war hocheffektiv. Es ist wohl das erste Beispiel in der Geschichte dafür, daß die elektronischen Massenmedien eine entscheidende Rolle in der Geschichte spielen können.

 

Im April 1945 strömte Ilya Ehrenburgs ins Tschechische übersetzte Haßpropaganda aus Radios und aus beim "Endkampf" aufgestellten Lautsprechern. Joachim Hoffmann, der sich 1995 vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg emeritierte Historiker (von pc Gutmenschen oft verleumdet) gibt in seinem Buch Stalins Vernichtungskrieg 1941-1945 (München 1995) einige Geschmacksproben: Ehrenburg am 20.9.41 "Unser Geschäft ist es Deutsche zu töten—es kommt nicht drauf an wie."; am5.5.42 gibt er die Parole aus: "Wir betrachten sie nicht als menschliche 

Wesen, …" (S. 205, 204); am 16.3.44: "Töte einen Deutschen! Wenn Du ein gerechter und gewissenhafter Mensch bist—töte einen Deutschen! …Töte! (S. 206); am 19.10.44 "Dieses junge Europa weiß seit langem, daß die besten Deutschen die toten Deutschen sind …" (S. 212); am 7.12.44 galant über die deutsche Frau: "…diese spezielle flachshaarige Hexe wird uns nicht so leicht entgehen." (S. 208). Führende deutsche Tageszeitungen gedachten seiner ehrend anläßlich seines 100. Geburtstag 1991. FAZ Feuilleton nannte ihn den "markantesten Kriegspropagandisten" (S. 133). Es entbehrt nicht der Pikanterie, daß heute der öffentlich-rechtliche SWR2 Ehrenburg würdigt—als großen Humanisten (20.2.2000 vormittags im Programm Profile "Ehrenburg als Lyriker"). Jedenfalls nahmen sich die Tschechen damals Ilya Ehrenburg zu Herzen.

 

Und seitdem strömt mehr als ein halbes Jahrhundert ungehemmte Haßpropaganda gegen alles Deutsche aus dem tschechoslovakischen, später dem tschechischen Staatsradio. Unter der KP-Herrschaft diente die drohende Rückkehr der "deutschen Revanchisten" immer als propagandistisches Schreckgespenst, und diese Urangst hat sich bis heute in der Bevölkerung gehalten. Nach dieser intensiven Desinformations- und Haßcampagne gegen Deutsche durch ihre “Medienschaffenden” glaubt das Gros der Bevölkerung tatsächlich, die Deutschen wären erst mit Hitler gekommen. Das hat ein geistiges Klima geschaffen, das nicht über Nacht saniert werden kann. Von einem tschechischen Politiker jetzt zu verlangen, sich für Wahrheit und Recht zu engagieren, kommt der Aufforderung gleich, seiner politischen Karriere den Todesstoß zu versetzen (die Kosten einer durch Medien verseuchten Demokratie?). Denn er hat in einer von Medien dominierten Massendemokratie zu agieren. Deshalb sollte man auch über Václav Klaus's Dikta nicht erstaunt sein. Und was die Medien betrifft: würden sie ihre Glaubwürdigkeit behalten, wenn sie eingestehen würden, daß sie ihre Publikum ein halbes Jahrhundert belogen haben?

 

Die deutsch-tschechische Deklaration von 1997, euphemistisch "Versöhnungserklärung" genannt.

 

Nach beinahe zwei Jahre andauernden Geheimverhandlungen—ohne Beteiligung der betroffenen Sudetendeutschen—wurde am 21. Januar 1997 die "Deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" ans Licht. Es war kein Lichtblick, es war ein Skandal. Man könnte meinen, der Titel enthalte einen Tippfehler—es sollte heißen: "Verhöhnungserklärung". Die tschechischen Seite zeigt nicht das geringste Entgegenkommen. Die Deutsche Seite übernimmt die Verantwortung für alles den Tschechen zugefügtes Unrecht und erklärt—im Gegensatz zur Rechtsauffassung der EU und ihrer EU-Mitgliedschaft also widersprechend—, daß sie die Benes -Dekrete respektiere. Für tschechische Opfer verspricht sie Steuerzahlergeld und gleichzeitig weigert sie sich, für die heimat- und vermögensrechtlichen Ansprüche der Sudetendeutschen einzutreten. Damit zeigte sie, daß sie von ihrer Schutz- und Obhutspflicht für die Sudetendeutschen nichts mehr wissen will. Hinsichtlich der Benes-Dekrete haben die Sudetendeutschen von der BRD nichts zu erwarten: Die CDU-FDP Koalition unter Kohl hat sich ihnen gegenüber skandalös benommen. Die rot-grüne Regierung schweigt. Für die Vermutung, eine künftige CDU-geführte Regierung würde sich anständiger benehmen, besteht kein Grund.

 

Wie ist die schamlose Haltung der Kohl-Regierung zu erklären? Unwissenheit über die Geschichte mag einer von mehren Faktoren sein. Kohls Diktum, die Vertreibung sei ein "Racheakt" für die Zeit der NS-Besetzung gewesen, zeigt in der Tat von einer erstaunlichen Ignoranz. Ein anderer Faktor ist die Geringschätzung der Wahrheit seitens der Spitzen der classe politique, wie sie in den oben zitierten Dikta von FDP-Spitzen (Maihofer und Baum) zum Ausdruck kommt. Ein dritter Faktor ist das getrübte Verhältnis von Kohl & Co. zu Eigentumsrechten. Es wurde überdeutlich demonstriert durch das Verhalten dieser Leute gegenüber den sogenannten Alteigentümern in der ehemaligen DDR. Der Politologe Professor Hennis weist darauf hin, daß man "Kohl & Co." ungestraft als "Lügner, Diebe und Hehler" bezeichnen darf. Dieser Raub (dessen Erlös Kohl zur Wahlhilfe diente) wurde schließlich vom Bundesverfassungsgericht (das Kohl belogen hatte) durch dessen hochpolitisches Urteil gegen die Verfassungsbeschwerde von 40 Alteigentümern legalisiert. Eine plausible Erklärung muß von den persönlichen Interessen der entscheidenden Individuen ausgehen. In den Jahren, in denen bezüglich der "Erklärung" verhandelt wurde, befanden sich die Hauptakteure Kohl und Genscher—sie hatten die Weichen gestellt—in einer ganz speziellen Situation. Da beide an Wirtschaft und Geldpolitik kein Interesse hatten (von dieses Gebieten ohnehin nichts verstanden und sie die auf ihrer Unabhängigkeit beharrenden Bundesbank nicht steuern konnten), waren sie bereit, die D-Mark zu opfern als "Tradeoff" für die Erlaubnis seitens der Franzosen, in der Außen- und Verteidigungspolitik mitzuspielen (Radnitzky. G.  "The EU: the 'European Miracle' in reverse", The European Journal (London), März 2002, S. 30-35). Sie hatten also einen guten Grund, vor allem nicht auffallen zu wollen, sich gefügig bis unterwürfig zu zeigen, um dieses versprochene Mitspielen und die von ihnen erhoffte diplomatische Aufwertung der BRD bloß nicht zu gefährden.

 

Um die Plausibilität der Hypothese von der historischen Ignoranz von Kohl & Co zu erhöhen, will ich abschließend darauf hinweisen, daß die "Versöhnungserklärung" auch auf einer Fehlinformation oder einer Lüge baut. Die deutschen Steuerzahler sollen u. a. Kompensation bezahlen für eine Vertreibung, die nicht stattgefunden hat. Diesen Vorgang mit der Vertreibung von 3.5 Mio. Sudetendeutschen zu vergleichen, wie es die Kohl-Regierung getan hat, ist eine Chuzpe. Die Vertreibung von Tschechen im Jahre 1938 ist eine politische Legende. Um ethische Proportionen in den Siedlungsgebieten der Deutschen zugunsten des Staatsvolkes zu verändern, wurden von 1918 bis 1938 etwa 500.000 Tschechen in den sudetendeutschen Gebiete angesiedelt. Nach "München"  hatten bis zur nächste Volkszählung vom 17.5.1939 rund 380.000 Tschechen dieses Gebiet wieder verlassen. Es war, wie erwähnt, staatliches Verwaltungspersonal, Lehrer der tschechischen Schulen, Militärpersonal usf., die dort zwecks Tschechisierung angesiedelt worden waren. Diese vorsätzlich Angesiedelten gingen zurück, woher sie gekommen waren, nämlich in ihre Heimat und dies in geordneter Form (mit ganz wenigen Ausnahmen) mit aller ihrer mobilen Habe. (Habel, F. Eine Politische Legende—Die Massenvertreibung von Tschechen aus dem Sudetengebiet 1938/1939. München 1996).

 

Eine bizarre Folge von Kohls Politik im Zusammenhang mit der sogenannten Deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung ist die, daß noch überlebende Vertriebene oder ihre Nachkommen als deutsche Steuerzahler jetzt ihren Vertreibern oder deren Nachkommen für ihre Vertreibung auch noch bezahlen müssen—noch grotesker ist es, daß unbeteiligte Deutsche jetzt gezwungen werden, für die Vertreibung einer Gruppe von Deutschen vor mehr als einem halben Jahrhundert zu bezahlen. Hinsichtlich der Sudetendeutschen zeigt der Vorgang, daß jede Bewertung historischer Vorgänge vom Zeitpunkt der Bewertung abhängt. Für die Generation der damals Vertriebenen, die Generation der Eltern, war die Vertreibung eine persönliche Katastrophe, soweit sie überlebten, die Vernichtung der existentiellen Grundlagen. Für die Kinder war sie eine Wohltat, denn ohne die Vertreibung wären sie nachhause zurück gekehrt und dann hinter dem Eisernen Vorhang gesessen. Durch die Vertreibung ihrer Eltern gelangten sie in die relativ freie Welt und konnten praktisch auswandern wohin sie wollten, die Welt stand den Tüchtigen offen. Sie könnten daher sehr wohl bereit sein, den Vertreibern eine kleine Kompensation zu bezahlen für ihre Mühe bei Enteignung, Entrechtung und Vertreibung—Manipulationen, die den Tätern immerhin erhebliche Transaktionskosten verursacht habe. Sie sollten darüber nicht vergessen, welchem Unrecht sie ihren Lebensstandard verdanken und sich nicht damit abfinden.

 

Eine Hoffnung, die nicht unrealistisch ist

Seit dem l5. April 1999 fordert das Europäische Parlament die Tschechische Republik zum Widerruf der mit EU-Recht unvereinbaren Benes -Dekrete auf. Das mag heute von den Gutmenschen als symbolische Handlung betrachtet werden, aber wenn die CR in die EU aufgenommen werden würde, ohne daß sie einen solchen ausgesprochen  hätte, dann würde sich die EU der Legalisierung eines Genozids schuldig machen. Wie könnte sie dann Milosevic gegenübertreten? Wäre sie besser als Milosevic?

 

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em. o. Prof. Dr. Gerard Radnitzky lehrte Wissenschaftstheorie an Universitäten in Schweden, USA, Japan und der BRD, zuletzt an der Universität Trier. Zu seinen Publikationen s. Website: www.radnitzky.de

 

Zuerst erschienen als: "Vertreibung vor dem Krieg geplant", Junge Freiheit 19/02 (03.05.2002), S. 18.
Veröffentlichung an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

 

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