Rückkehr nach Schlesien

 

G r ü n b e r g

 

Meine erste Station ist die Stadt Grünberg im nördlichen Niederschlesien. In Grünberg sehe ich nun erstmals Bilder vom jetzigen Schlesien, Bilder Ostdeutschlands.

 

Stadtbild

 

 

Grünberg/Schlesien, alte Postkarte

aus: http://www.vogel-soya.de/bilder/Schlesphoto.html

 

Einstmals ist Grünberg wie die meisten schlesischen Städte ein wohlhabender Ort  gewesen, in welchem die Bewohner offenbar Mittel und Zeit genug hatten, ihr gehobenes Daseinsgefühl durch prachtvoll geschmückte Bauwerke auszudrücken.

 

Den Marktplatz umgaben Fassaden,  reich verziert aus Lust an der schönen Form. Die  Straßen Grünbergs waren breit angelegt, lagen unter schweren Baumkronen, vom Prunk vielstöckiger Bürgerhäuser gesäumt. Die überhohen Türen und Fenster dieser Häuser waren wie griechische Tempel überdacht. Treppenaufgänge hatten Säulengeländer, Balkone steinerne Balustraden.

 

Was nun haben die neuen Bewohner, welche so unversehens in den Besitz all dieser Stattlichkeiten gekommen  sind, was haben die Polen  damit gemacht? Nur sehr wenige Häuserfronten haben im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine sorgende Hand  in Form eines Farbanstriches erfahren, und die verwendeten Farben sind alle durchsetzt mit Nuancen von Aufdringlichkeit: Rötlich spielt hinüber ins Erdbeerfarbene, Graugrün ist waldmeistergetränkt, Graublau hat einen stählern drohenden Schimmer. Die meisten Häuser  stehen noch so da, wie sie von ihren einstigen Besitzern verlassen worden sind. Nur: Die Eingänge und die Fenster der unteren Stockwerke sind  mit Brettern vernagelt. Hier ist das Hausinnere  Lagerraum geworden und entsendet  einen scharfen Dunst. Aus den Fenstern weiter oben dringen Wohnluft und immer wieder schrille Töne allzusehr zusammengedrückter Hausgemeinschaften.

 

In einem geöffneten Fenster meine ich eine über die ganze Fensterbreite ausgespannte deutsche Fahne zu entdecken. Es sind aber drei auf dem Fensterbrett zum Lüften übereinandergestapelte Matratzen, denen eigene Färbung und die Besonderheiten der Beleuchtung  das Aussehen unserer deutschen Farben verliehen haben.

 

In einem anderen geöffneten Fenster, von darüber hängenden Fladen nahezu abgelösten Putzes bedroht, sitzt ein halbnackter Mann und genießt die belebenden Strahlen der Sonne, des Himmelslichtes, welches sich nicht kümmert um die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Beschienenen.

 

Während ich langsam und mit offensichtlichem Touristengebaren die  Straßen meiner ersten schlesischen Stadt durchwandere, spüre ich aus einem weiteren der vielen geöffneten Fenster den Blick einer alten Frau. Die weißen Haare zurückgekämmt, das Gesicht ohne Bewegung, die Augen voll abgrundtiefer Traurigkeit, schaut sie mir nach, solange sie mich sehen kann. Und immer wieder wende ich mich nach ihr um: Eine hier zurückgebliebene, nun heimatlose Deutsche? Oder eine hier hineingetriebene Polin, die  auch keine Heimat hat?

 

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